Blinddate
Heute traf ich dich das erste Mal.
Du müsstest 3 oder 4 Jahre alt sein, auf jeden Fall bist du noch ziemlich klein.
Du lächelst mich breit an, deine Augen strahlen wie Sterne.
Deine Freunde spielen im Hintergrund (auf der von mir so bekannten Straße) Fußball.
Sie rufen nach dir, du blickst kurz zurück, aber dann schaust du mich wieder so erwartungsvoll und fragend an.
Ich schaue auch Dich an und merke, wie es dir allmählich unangenehm wird.
Du wirst nervös, soviel Aufmerksamkeit, inniger Blickkontakt bist du offensichtlich nicht gewohnt.
Dein Lächeln versteinert langsam, aber bleibt bestehen, du weißt wie man sich zu benehmen hat, trotzdem: deine Blicke scheinen hilflos, und schauen von links nach rechts.
Ich merke mittlerweile wie unsicher du wirst – und gebe dir zu verstehen, dass du keine Angst haben brauchst.
Es sieht so aus als ob du nun wüsstest, wer ich bin. Und bekommst Angst.
Angst vor dem was ich dir sagen werde.
Mein inneres Kind
Denn du bist ich.
Ich bin du.
Ich gebe zu, ich habe dich in all den Jahren vergessen.
Nach diesem Treffen weiß ich auch wieder warum.
Es bricht mir das Herz, wenn ich sehe, dass so ein kleiner Mensch schon so kaputt vom Kampf ist.
Dein Kampf
Du hast immer gekämpft.
Um die Liebe deiner Eltern, die dir zugestanden hätte.
Um die Aufmerksamkeit, die du verdient hättest.
Um Trost, wenn es dir schlecht ging.
Um die Familie, die du dir gewünscht hast.
Du warst nicht Papa’s kleine Prinzessin, wie es in so vielen fucking Disneyfilmen zu sehen ist
Du warst nie Mama’s kleines Mädchen, denn du warst nie gewollt.
Du wurdest geduldet aber nie akzeptiert.
Du warst immer deren Fehler.
Und das hat man dir nicht nur gesagt, das hat man dir gezeigt. Tagtäglich wurde dir mitgeteilt, du sollst anders: besser, schlauer, schneller, wie … wie das Kind der Nachbarn, zum Beispiel, sein.
Im Grunde waren alle besser als du.
Du wurdest schon immer gefragt, was mit dir nicht stimmt. Warum du so trotzig, so lieblos, so wild und so ungestüm bist.
Dir wurde schon immer eingeredet du wärst falsch.
Dein selbst, deine Träume, deine Ansichten.
Und deshalb bräuchtest du dich nicht wundern, dass die anderen so zu dir sind.
Und trotzdem hast du gekämpft, Tag ein, Tag aus. Du wolltest geliebt werden.
So, wie du es verdient hättest.
Man hätte für dich da sein müssen, wenn es dir schlecht ging, stattdessen wurdest du immer wieder ausgelacht und dir wurde beigebracht, du sollst dich nicht so anstellen.
Verdammt, du bist kein Indianer!
Vertrauen
Ich soll dich in den Arm nehmen.
Das tue ich und ich merke, wie du dich dagegen wehrst, obwohl du merkst, dass du es brauchst.
Du hast schon so viele Mauern in und um dein Herzchen gebaut, sodass Nähe für dich unangenehm ist. Du kannst es kaum aushalten. Du willst weg, aber auch nicht.
Du fechtest das mit dir selber aus.
Ich, derweil, halte dich nur, denn ich fühle deinen Schmerz, ich weiß wie schwer es ist zu vertrauen. Sich hinzugeben, zu entspannen, sich jemanden nähern.
Mir kommen die Tränen.
Fallen lassen
Nach und nach lässt du dich fallen und du weinst. Es scheint als kommen all die negativen Dinge raus. Die Last fällt von deinen Schultern.
Du fühlst dich verstanden und geliebt.
Und brichst zusammen.
Weil du nicht verstehen kannst, dass es tatsächlich so sein kann, was du dir schon immer gewünscht hast.
Akzeptanz. Liebe. Sein dürfen.
Wir gehen ein Stück und ich zeige dir einen Bus.
Du lächelst. Wir denken beide das selbe: „Irgendwann hauen wir hier ab!“
Ich sage dir, alles wird gut.
Ich schenke dir Vertrauen.
Stärke.
Denn das brauchst du auf deinem weiteren Weg.
Was ich dir nicht sage
Ich sage dir nicht, dass du mit 9 ein Scheidungskind wirst.
Ich sage dir nicht, dass dein Vater sich danach kein Stück mehr um dich geschert hat.
Ich sage dir nicht, dass deine Mutter dich regelrecht verachtete, weil du sie an ihn erinnerst.
Ich verschweige dir, dass du gezwungen wurdest mit 14 mit wegzuziehen, weit weg von deinen Freunden – was deine Ersatzfamilie war.
Ich sage dir auch nicht, dass du mit 16 raus geprügelt wurdest, du aber trotzdem jedes 2. Wochenende deine kleine Schwester nehmen musstest, damit deine Mutter feiern gehen konnte.
Ich sage dir nicht, dass sich dein Vater tot gesoffen hat.
Und ich sage dir auch nicht, dass deine Mutter dich auf ihrer 3. Hochzeit nicht dabei haben wollte. Das war auch der Tag als euer Kontakt abbrach. Vor allem aber, weil sie ihre Enkel nie wirklich sehen wollte.
Ich sage dir nicht, dass auch dein Stiefvater dich wie eine heiße Kartoffel fallen lassen hat, aber erst, nachdem du ihn und seine Tochter wieder zusammengebracht hast.
Ich verschweige dir, dass du keinen Kontakt mehr zu deiner kleine Schwester hast, weil sie die Lügen der anderen glaubt. Und es dir das Herz bricht. Denn du warst die ersten beiden Jahre ihre Bezugsperson.
Ich sage dir nicht, dass du dein ganzes Leben lang darauf hoffst, dass du einmal als die Tochter, Schwester, Mensch gesehen wirst, die gewollt gewesen wäre. Der nicht nur benutzt wird.
Ich sage dir nicht, dass du daran fast zerbrochen wärst.
Hoffnung
Ich sage dir mit meinen Blicken, dass ich stolz auf dich bin.
Stolz darauf, dass du nur eine psychische Macke abbekommen hast, die du aber selbst lösen konntest. Ich bin stolz, dass du nicht in die Fußstampfen deines Vaters oder deiner Mutter steigen wirst. Dass du deinen Weg gehen wirst.
Ich schenke dir ein letztes lächeln, nehme dich in den Arm und verspreche dir, ich komme bald wieder, denn ich weiß jetzt wo ich dich finde.
Ich sage dir: verliere nie deine Empathie, deinen Glauben, deine Stärke. Es wird alles gut.
Das Leben wird schön, aber erst werden wir abgehärtet.
Du durch deinen Weg vor dir, ich durch meine Vergangenheit.
Mein Beitrag zur geführten Meditation durch Ohrinsel (unbezahlte Werbung)